Dies irae

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Das Jüngste Gericht (Hans Memling um 1470)

Dies irae (lat. „Tag des Zorns“, häufig auch in der mittellateinischen Form Dies ire) ist der Anfang eines mittelalterlichen Hymnus über das Jüngste Gericht. Vom 14. Jahrhundert bis 1970 wurde er im römischen Ritus als Sequenz der Totenmesse gesungen und ist heute nur noch in der außerordentlichen Form des römischen Ritus Bestandteil des Requiems; außerdem kann er „ad libitum“ im Stundengebet des römischen Ritus an Allerseelen und in der letzten Woche des Kirchenjahres verwendet werden. Der Text wurde durch das Konzil von Trient (1545–1563) als fester Bestandteil des Requiems bestätigt. Als Autor wird traditionell Thomas von Celano angesehen, ein Freund und Biograph des hl. Franz von Assisi; diese Zuschreibung ist allerdings umstritten.

Gregorianische Melodie/?
(lateinisch gesungen)

Das Dies irae, gelegentlich einfach als Totensequenz bezeichnet, weist ein alternierendes, akzentuierendes trochäisches Versmaß auf. Der Hymnus besteht aus zunächst 17 dreizeiligen Strophen und wird durch drei zweizeilige Strophen beendet. Alle Verse einer Strophe reimen sich am Ende. Er ist ein radikaler Bruch mit der antiken Hymnendichtung, unter anderem durch die Verwendung von Endreim und akzentuierender Betonung (Rhythmus) statt der älteren metrischen Versmaße, die auf Silbenlänge und -kürze beruhten. Seine Melodie wurde in älteren Vertonungen lautstark gesungen.

Inhaltlich orientiert sich der Hymnus an Zef 1,15 EU in der Version der Vulgata:[1][2]

„dies irae dies illa / dies tribulationis et angustiae / dies calamitatis et miseriae / dies tenebrarum et caliginis / dies nebulae et turbinis“
„Ein Tag des Zorns ist jener Tag, ein Tag der Not und der Beklemmung, ein Tag des Unglücks und des Elends, ein Tag der Dunkelheit und der Finsternis, ein Tag des Nebels und des Sturmes“

Lateinischer Originaltext und deutsche Übertragung

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Die erste Übersetzung[3] orientiert sich wörtlich am lateinischen Original; die inhaltlich freiere Übertragung in der rechten Spalte erhält dessen Versmaß und Reim aufrecht.

Dies irae dies illa,
Solvet saeclum in favilla:
Teste David cum Sibylla.

Tag des Zornes, jener Tag
wird die zeitliche Welt in Asche auflösen
gemäß dem Zeugnis Davids und der Sibylla.

Tag der Rache, Tag der Sünden,
Wird das Weltall sich entzünden,
wie Sibyll und David künden.

Quantus tremor est futurus,
Quando iudex est venturus,
Cuncta stricte discussurus!

Welch großes Beben wird sein,
wenn der Richter erscheint
zur strengen Prüfung von allem.

Welch ein Graus wird sein und Zagen,
Wenn der Richter kommt, mit Fragen
Streng zu prüfen alle Klagen!

Tuba mirum spargens sonum
Per sepulcra regionum
Coget omnes ante thronum.

Der schrille Klang der Posaune
Durch die Gräber der Regionen,
zwingt alle vor den Thron.

Laut wird die Posaune klingen,
Durch der Erde Gräber dringen,
Alle hin zum Throne zwingen.

Mors stupebit et natura,
Cum resurget creatura,
Iudicanti responsura.

Es staunt der Tod und die Natur,
wenn sich die Kreatur erhebt,
um dem Richter zu antworten.

Schaudernd sehen Tod und Leben
Sich die Kreatur erheben,
Rechenschaft dem Herrn zu geben.

Liber scriptus proferetur,
In quo totum continetur,
Unde mundus iudicetur.

Ein beschriebenes Buch wird vorgetragen,
in welchem alles enthalten ist,
wonach die Welt zu richten ist.

Und ein Buch wird aufgeschlagen,
Treu darin ist eingetragen
Jede Schuld aus Erdentagen.

Iudex ergo cum sedebit,
Quidquid latet apparebit:
Nil inultum remanebit.

Wenn der Richter also dort sitzt,
wird alles Verborgene ans Tageslicht kommen,
nichts bleibt ungesühnt zurück.

Sitzt der Richter dann zu richten,
Wird sich das Verborgne lichten;
Nichts kann vor der Strafe flüchten.

Quid sum miser tunc dicturus?
Quem patronum rogaturus,
Cum vix iustus sit securus?

Was werde ich Armer dann sagen,
welchen Schutzpatron mir suchen,
wenn ein Gerechter kaum sicher ist?

Weh! Was werd ich Armer sagen?
Welchen Anwalt mir erfragen,
Wenn Gerechte selbst verzagen?

Rex tremendae maiestatis,
Qui salvandos salvas gratis:
Salva me, fons pietatis.

König von schrecklicher Gewalt,
was zu retten ist, rettest du umsonst,
rette mich, Quelle der Güte.

König schrecklicher Gewalten,
Frei ist Deiner Gnade Schalten:
Gnadenquell, lass Gnade walten!

Recordare Iesu pie,
Quod sum causa tuae viae:
Ne me perdas illa die.

Denke daran, gütiger Jesus,
ich bin die Ursache deines Lebensweges,
vernichte mich nicht an jenem Tage.

Milder Jesus, wollst erwägen,
Dass Du kamest meinetwegen,
Schleudre mir nicht Fluch entgegen.

Quaerens me, sedisti lassus:
Redemisti crucem passus:
Tantus labor non sit cassus.

Auf der Suche nach mir setztest du dich erschöpft nieder,
erlittest das Kreuz zur Erlösung,
solche Mühe soll nicht vergebens sein.

Bist mich suchend müd gegangen,
Mir zum Heil am Kreuz gehangen,
Mög dies Mühn zum Ziel gelangen.

Iuste iudex ultionis,
Donum fac remissionis,
Ante diem rationis.

Gerechter Richter der Rache,
mach ein Geschenk der Vergebung
vor dem Tag des letzten Gerichts.

Richter Du gerechter Rache,
Nachsicht üb in meiner Sache
Eh ich zum Gericht erwache.

Ingemisco, tamquam reus:
Culpa rubet vultus meus:
Supplicanti parce Deus.

Ich seufze auf wie ein Schuldiger,
die Schuld rötet mein Gesicht,
den Bittenden verschone, Gott.

Seufzend steh ich schuldbefangen,
Schamrot glühen meine Wangen,
Lass mein Bitten Gnad erlangen.

Qui Mariam absolvisti,
Et latronem exaudisti,
Mihi quoque spem dedisti.

Der du Maria freigesprochen hast,
und den Schächer erhört hast,
hast du auch mir Hoffnung gegeben.

Hast vergeben einst Marien,
Hast dem Schächer dann verziehen,
Hast auch Hoffnung mir verliehen.

Preces meae non sunt dignae:
Sed tu bonus fac benigne,
Ne perenni cremer igne.

Meine Bitten sind nicht würdig,
doch du, Guter, gib in deiner Güte,
dass ich nicht im ewigen Feuer verbrenne.

Wenig gilt vor Dir mein Flehen;
Doch aus Gnade lass geschehen,
Dass ich mög der Höll entgehen.

Inter oves locum praesta,
Et ab haedis me sequestra,
Statuens in parte dextra.

Gewähre mir einen Ort unter den Schafen,
scheide mich von den Böcken,
stelle mich auf die richtige Seite.

Bei den Schafen gib mir Weide,
Von der Böcke Schar mich scheide,
Stell mich auf die rechte Seite.

Confutatis maledictis,
Flammis acribus addictis,
Voca me cum benedictis.

Wenn die Üblen verdammt
und den grausamen Flammen übergeben sind,
rufe mich mit den Seligen.

Wird die Hölle ohne Schonung
Den Verdammten zur Belohnung,
Ruf mich zu der Sel’gen Wohnung.

Oro supplex et acclinis,
Cor contritum quasi cinis:
Gere curam mei finis.

Demütig und geneigt bete ich,
das Herz zerrieben wie Asche,
nimm meines Endes dich an.

Schuldgebeugt zu Dir ich schreie,
Tief zerknirscht in Herzensreue,
Sel’ges Ende mir verleihe.

Lacrimosa dies illa,
Qua resurget ex favilla

Ein Tränentag, jener Tag,
an dem aus dem Feuerbrand aufsteht

Tag der Zähren, Tag der Wehen,
Da vom Grabe wird erstehen

Iudicandus homo reus:
Huic ergo parce Deus.

der schuldige Mensch zum Gericht:
Schone ihn also, o Gott,

Zum Gericht der Mensch voll Sünden;
Lass ihn, Gott, Erbarmen finden.

Pie Iesu Domine,
dona eis requiem. Amen.
gütiger Herr Jesus,
gib ihnen Ruhe. Amen.
Milder Jesus, Herrscher Du,
Schenk den Toten ew’ge Ruh. Amen.

Beispiele für Zitate

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Das Dies irae wurde erstmals im 13. Jahrhundert als Sequenz – eine Spätform des gregorianischen Chorals – vertont und wurde in dieser Form Bestandteil des Requiems.

Erste Strophe des Dies irae

Bei späteren Kompositionen der Totenmesse wird das Dies irae zumeist in die Teile Dies irae, Tuba mirum, Liber scriptus, Rex tremendae, Recordare, Ingemisco, Confutatis und Lacrimosa untergliedert.

Die Komponisten verfahren mit der Anordnung der Sätze häufig recht frei, auch der Text des mittelalterlichen Hymnus wird nicht immer verwendet. Meistens hat der Dies-irae-Satz gewaltige Dimensionen. Hector Berlioz verwendet in seinem Requiem zum Beispiel 16 Pauken und vier Blechbläser-Chöre, die das Tuba mirum (Posaune, wundertönend durch die grabgewölbten Hallen) plastisch darstellen. Berlioz übernahm Abschnitte der alten Melodie in der Symphonie fantastique, sein Dies irae in der Grande Messe des Morts hingegen kommt ohne den Hymnus aus.

Auch sonst wird das gregorianische Dies-irae-Motiv häufiger in musikalischen Werken zitiert, wenn auf das Gericht Gottes oder auch einfach auf den Tod hingewiesen werden soll. Darunter sind durchaus auch sehr weltliche Kompositionen. Beispielsweise zitiert Jerry Goldsmith das Motiv in seiner Filmmusik zu Gremlins 2 – Die Rückkehr der kleinen Monster. Eine weitere Verwendung fand das Dies irae im Vorspann des Horrorfilms The Shining von Stanley Kubrick. Kubrick bediente sich hier einer Interpretation von Wendy Carlos.

Ingmar Bergman bediente sich für eine Sequenz seines mittelalterlichen Mysterienspiels Das siebente Siegel ebenfalls des Dies irae, hier untermalt es den Auftritt einer Flagellantenprozession.

Beispiele für Vertonungen

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Zitate des gregorianischen Hymnus in der klassischen Musik

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Das Autograph des Dies Irae aus W. A. Mozarts Requiem

Bekannte Dies-irae-Sätze in Requiem-Kompositionen

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Zitate in der Filmmusik

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Zitate in populärer Musik

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  • Eden Weint Im Grab: Hure Babylon (Album: Apokalypse Galore, 2023, Dark Metal)
  • Kirk Hammett: The Incantation (5:57–6:35, EP: Portals, 2022, Progressive Rock)

Moderne Vertonungen des Textes

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Commons: Dies Irae – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Dies irae – Quellen und Volltexte (Latein)

Einzelnachweise

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  1. Vulgata: Sofonias Propheta 1. Abgerufen am 8. Dezember 2023.
  2. Hieronymus: Biblia Sacra Vulgata. Lateinisch-deutsch. Band IV. Hrsg.: Andreas Beriger, Widu-Wolfgang Ehlers und Michael Fieger. Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston 2018, ISBN 978-3-11-048836-4, S. 987 (Deutsche Übersetzung).
  3. Nach der Übersetzung von Bernhard Schmid, abger. am 18. September 2022.
  4. Jean-Baptiste Lully: Dies irae beim SRF, 8. Januar 2022, abgerufen am 22. Januar 2024.